Eine Tierheim-Mitarbeiterin kam aus Kiew nach Deutschland, als in ihrer Heimat der Krieg begann. Dies ist ihre Geschichte, erzählt von Kateryna selbst.
Das ist das zweite Mal, dass ich alles verliere und von Null anfange.
Das erste Mal floh ich 2014 aus dem okkupierten Luhansker Gebiet nach Kiew: ein Paar Taschen, drei Katzen und zwei Hunde. Nach acht Jahren floh ich aus der Ukraine nach Deutschland mit einem Koffer, drei Hunden und zwei Katzen in Richtung unbekanntes Land und mit völligem Unverständnis, wie ich weiterleben soll.
2014
Bis 2014 lebte ich in der Ostukraine in meiner 4-Zimmer-Eigentumswohnung, arbeitete als Journalistin beim lokalen TV-Sender und als Leiterin der PR-Abteilung einer privaten Tierklinik. Gemeinsam mit Gleichgesinnten gelang es mir, eine Gesellschaft zum Schutz der Tiere und ein privates Tierheim zu gründen. Gerade deswegen lernte ich deutsche Familien kennen, die mir später halfen, dem Krieg zu entkommen. Bleiben oder gehen – diese Gedanken kamen mir nicht. Dort, wo die Russen sind, wird es niemals ein normales Leben geben. Mein Tierheim konnte ich nicht im Stich lassen und begann sofort, die Tiere nach Kiew zu evakuieren. Von Kiew aus fuhren sie nach Deutschland. Einige fanden gleich liebevolle Familien, andere wurden von freiwilligen Helfern aufgenommen. Zwischen 2014 und 2022 gelang es mir, mehr als 300 Hunde und Katzen aus dem Luhansker Gebiet herauszubringen.
Kiew
In Kiew musste ich Arbeit suchen, aber am schwierigsten war es, eine Wohnung zu finden. Wir lebten einige Zeit in einem noch nicht fertig gebauten Gartenhaus. Dort gab es keine Dusche, die Toilette befand sich draußen und als Heizquelle diente ein Ofen. In den acht Jahren konnte ich mir ein gutes Leben aufbauen. 2019 eröffnete ich ein eigenes Reisebüro. Alles war gut. Doch dann kamen wieder die Russen.
24.02.2022
In den frühen Morgenstunden erwachte die Ukraine durch Explosionen. Ich gehörte zu denjenigen, die nicht glaubten, dass im 21. Jahrhundert, mitten in Europa, ein Krieg möglich wäre. Ukrainer warteten, dass die Russen sich zu Protesten sammeln, auf die Straße gehen, ihr Regime zum Teufel jagen, so wie wir es einst taten. Doch wir bekamen von den Russen nur Schadenfreude, Hass und Kommentare wie „man muss alle Ukrainer töten, auch ihre Kinder“. Bis zum Schluss weigerte ich mich, Kiew zu verlassen. Doch das Leben dort wurde immer schwieriger: ständiger Luftalarm, Explosionen, Warteschlangen vor den Geschäften. Ich verstand sehr gut, dass meine Überlebenschancen bei einem Raketeneinschlag gleich Null waren und mit drei Hunden und zwei Katzen und Notfallrucksack einen Luftschutzbunker zu erreichen, auch. Innerhalb einer Woche wurden mein Sportverein, in dem ich trainierte, das große Einkaufszentrum nebenan und der Park, in dem ich meine Hunde ausführte, vollkommen zerstört.
Tiere im Krieg
Das Schrecklichste war für mich, mit ansehen zu müssen, was mit den Tieren geschieht. Viele Menschen flohen in Panik und ließen ihre Haustiere zurück in verschlossenen Häusern und Wohnungen. Freiwillige organisierten sich schnell, fuhren zu den eingeschlossenen Tieren, bohrten Wände auf, machten Türen auf und gelangten zu den Tieren über die Balkone. Laut Gesetz ist das verboten. Tierretter konnten für angebliches Plündern verhaftet werden. Aber die Menschen nahmen diese Risiken auf sich. Die Polizei half manchmal oder sie schaute weg oder sie verbot solche Aktionen. Dann mussten wir über das Guckloch in der Tür das Wasser über einen dünnen Schlauch in die Wohnung auf den Boden tröpfeln lassen und Futter durchschieben. Leider hatten einige Wohnungen doppelte Türen. Wenn die Retter es nicht schafften vor der Sperrstunde zu Hause zu sein, musste für sie eine Übernachtungsmöglichkeit gefunden werden. Ich übernahm die Organisation und die Planung der Einsätze. Während dieser Zeit schlief ich nicht mehr als drei oder vier Stunden. Glücksmomente – wenn ich ein Video von einem geretteten Tier bekam (Hund, Katze, Papagei…). Und Momente des Schmerzes – wenn aus einer Wohnung nur noch Tierleichen geborgen werden konnten. Jeder Tag bringt nur schlechte Neuigkeiten. Ein zerschossenes Auto, in dem Freiwillige Futter in ein Tierheim und humanitäre Hilfe für alte Leute bringen wollten. Niemand hat überlebt. Im Auto waren vier Studenten, eigentlich noch Kinder.
In Borodyanka (Verwaltungsbezirk Kiews) blieben eingesperrte Tiere einen Monat lang ohne Wasser und Futter. Russische Einheiten waren ganz in der Nähe stationiert und nahmen jeden, der sich dem Tierheim näherte, unter Beschuss. Die Hunde starben einen langen schrecklichen Tod. Dabei lag im Raum nebenan Futter. Freiwilligen Helfern gelang es, eine Verbindung zu den Russen zu bekommen. Sie bettelten die Russen an, sie in das Tierheim vorzulassen, boten ihnen sehr viel Geld an. Die Russen halfen nicht und ließen die Freiwilligen nicht in das Tierheim. Nach einem Monat gelang es, Borodyanka zu befreien. Von 485 Hunden haben 263 überlebt. Einige von ihnen starben auf dem Weg in die Tierklinik. Meine Freunde in Deutschland waren mit mir in ständiger Verbindung und baten mich, zu ihnen zu kommen. Zuerst reagierte ich mit Spaß und sagte, dass ich nach unserem Sieg kommen werde, als Touristin. Später sah ich ein, dass es keinen anderen Ausweg gab, als zu flüchten. Ich hatte keine Arbeit, das Ersparte ging zur Neige. Einer meiner Hunde war im Dauerstress wegen der ständigen Explosionen, zitterte, bekam keine Luft, schlief kaum. Beruhigungsmittel gab es nicht mehr zu kaufen. Kliniken arbeiteten nicht mehr.
Am 8. März, dem internationalen Frauentag, fuhren Freunde und ich mit zwei Autos Richtung Lviv. Unterwegs sahen wir zerschossene Autos, an vielen von ihnen die Aufschrift „KINDER“, Blockposten, kilometerlange Schlangen an den Tankstellen. Draußen genauso kalt wie in der Seele. Die schlimmste und leidvollste Erinnerung für mich sind unsere Soldaten. Du fährst an einen sicheren Ort und sie müssen bleiben. Sie bleiben da, damit du die Möglichkeit hast zu gehen. An diesem Tag überreichten die ukrainischen Soldaten jeder Frau, die im Auto saß, Blumen. Ich hielt es nicht aus und begann zu weinen. Doch der Soldat lächelte, versuchte mich zu beruhigen und versprach mir: alles wird gut. Bei mir bestimmt. Und bei ihm? Bleibt er am Leben?
Von Kiew bis Lviv sind es nur 540 Kilometer, wir brauchten für diese Strecke zwei Tage. Ständig verglichen wir die Evakuierungskarten, suchten nach ungefährlichen Routen. Die Russen vernichteten viele Autos mit Menschen, die versuchten Kiew zu verlassen. In Lviv nahm ich einen Linienbus nach Berlin. Wir hatten Glück und brauchten bis Berlin nur 17 Stunden. Die Fahrt war für mich äußerst unkomfortabel, denn in meinem Fußraum standen die Körbe mit meinen fünf Haustieren, die ich selbstverständlich nicht im Krieg lassen wollte. In Berlin nahm mich eine wunderbare Familie in Empfang: Valeria und Herbert. Bei ihnen leben schon seit einigen Jahren eine Katze und ein Hund aus meinem Tierheim. Unglaublich tolle Menschen. Ich hatte sie noch nie getroffen, aber sie sind genauso, wie ich sie mir vorgestellt hatte: gutherzig, aufmerksam, hilfsbereit. Ich verbrachte zwei Tage in Berlin. Die Familie zeigte mir die Stadt und dann brachte mich Herbert nach Rodgau, wo ich bereits von Andrea und Mike (Besitzer einer gerade frei gewordenen Wohnung) erwartet wurde. Bei Andrea lebt seit 2012 eine Hündin aus meinem Tierheim. Außerdem erwarteten mich Kisten mit Hygieneartikeln, Lebensmittel und andere Dinge. Im ersten Monat meines Aufenthaltes in Deutschland las ich täglich Nachrichten, telefonierte mit Angehörigen und weinte. Du siehst, mit welcher Brutalität die Russen dein Land zerstören und kannst nichts tun.
Das Tierheim
Als ich noch in Kiew lebte, half ich einer Frau, die sich um 60 Katzen und mehr als 30 Hunde auf ihrem Hof kümmerte. Es war immer schwer für sie, doch mit Kriegsbeginn wurde alles noch viel schlimmer. Ich habe beschlossen zu versuchen, wenigstens die Hälfte der Tiere nach Deutschland zu bringen. In dieser Zeit lernte ich noch ein wundervolles Paar kennen: Andrea und Martin, die ich nun als einen Teil meiner Familie betrachte. Wahrscheinlich hatten nur meine Eltern mehr für mich getan als Andrea und Martin. Andrea begann Anfragen an verschiedene Tierheime zu schicken mit der Bitte, Katzen und Hunde aus der Ukraine aufzunehmen. Ein Tierheim hat positiv geantwortet: DAS TIERHEIM DARMSTADT. Wir fuhren dort hin und lernten Christian, den Tierheimleiter kennen, der uns sofort mehr als 100 Chips für die ukrainischen Tiere übergab und mir anbot, in seinem Tierheim zu arbeiten.
Am 2. April empfingen wir bereits 16 Hunde und 15 Katzen aus der Ukraine. Einen Hund – ein Mädchen mit drei Beinen – nahmen Andrea und Martin bei sich als ihren dritten Hund auf. Zurzeit leben im Tierheim Darmstadt noch zwei Hunde (Tschoba und Ryaba), Kater Oskar und Katze Sima aus der Ukraine. Im Tierheim arbeite ich im Katzenhaus. Im Prinzip mache ich das, was ich auch zu Hause tue: saubermachen, aufräumen, Geschirr abwaschen, Wasser und Futter geben, desinfizieren usw. Genau diese Arbeit habe ich gebraucht. Tiere sind die besten Therapeuten.
Das Leben in Deutschland
In Deutschland habe ich mich zu keiner Zeit als unerwünschten Gast gefühlt. Vielleicht hatte ich einfach Glück. Ich habe hier so viele gutherzige, taktvolle und freundliche, hilfsbereite Menschen getroffen! Physisch geht es mir sehr gut. Ich befinde mich in Sicherheit. Ich habe alles für ein komfortables Leben. Ich fühle mich nicht einsam. Doch seit dem Kriegsbeginn sind mein Herz und meine Gedanken in der Ukraine. Jeden Monat schicke ich etwas Geld zur Unterstützung unserer Armee, nehme an Protestaktionen gegen den Krieg in meinem Land teil und fühle trotzdem, dass es zu wenig ist. Besonders, wenn ich hier in Deutschland auf Russen treffe und verstehe, worüber sie sich unterhalten. Deutschland ist ein schönes Land und ich bin diesem Land sehr dankbar dafür, dass ich in meinem Bett schlafen kann und nicht im Bad auf dem Fußboden, dass ich im Wald spazieren gehen kann und nicht Explosionsgeräusche hören muss. Ich danke den Deutschen für ihre respektvolle Haltung, ihre Fürsorge und Verständnis. Die Ukraine bleibt aber immer meine Heimat. Ich hatte ein wunderbares Leben in Kiew und ich sehne mich danach. Es tut weh, dass es nie wieder so sein wird wie früher, denn jedes glückliche Ereignis wird davon überschattet, welchen Preis man für dieses Glück bezahlen musste.
Kateryna