Ein Besuch bei Tino in Reichelsheim
Vereinsgründerin Ute Heberer spricht mit TIERISCH GUT auf der Spreng über Tino und warum sich aktuell die Hilferufe verzweifelter Hundehalter häufen.
Von Mara Pitz
Angenehm unkompliziert, mit Ute Heberer einen Termin auszumachen, bei dem sie etwas über Tiere in Not Odenwald (Tino) erzählt – den Tierschutzverein, den sie vor mehr als 30 Jahren gegründet hat, der heute mehr als 1000 Mitglieder zählt und zu den größten Tierschutzvereinen in Hessen gehört – eine Anfrage per Telefon, ein paar Whatsapp-Nachrichten hin und her, gut eine Woche später dann das Treffen im Tierheim auf der Spreng außerhalb von Reichelsheim.
Auf dem rund 4.400 Quadratmeter großen Tierheimgelände leben rund 60 Hunde, etwa 40 Katzen und insgesamt rund 50 Kaninchen, Meerschweinchen und andere Kleintiere. Der Schwerpunkt von Tino liegt auf Hunden – rund 450 werden jedes Jahr vermittelt. Das Besondere bei Tino ist die Haltung der Hunde in großen Gruppen statt einzeln oder in Kleingruppe. Viele von ihnen laufen tagsüber frei auf dem eingezäunten Tino-Hof herum. Einige von ihnen tragen Maulkorb.
„Mehr als die Hälfte unserer Hunde ist verhaltensoriginell“, sagt Ute Heberer beim Gespräch im Tino-Büro: Sie sind aggressiv gegenüber Menschen, Artgenossen oder aber ängstlich. In speziellen Übungsgruppen trainieren Ehrenamtliche mit den Vierbeinern: So lernen ängstliche Hunde in der „Bravehearts“-Gruppe, ihre Scheu vor Menschen abzulegen oder, dass Autofahren gar nichts Schlimmes ist. Beim „Tino Training 2.0“ lernen aggressive Kandidaten, wie man Artgenossen begegnet, ohne auszuflippen und dass der Mensch am anderen Ende der Leine der Chef ist.
Aktuell werden besonders viele Rüden unter drei Jahren abgegeben, die bei ihren Besitzern aus dem Ruder gelaufen sind. Täglich hat Heberer „mindestens fünf Anfragen“ von verzweifelten Hundebesitzern im Postfach. Diese Menschen haben Angst, weil ihr Hund am Futternapf knurrt, sein Spielzeug verteidigt oder keinen Besuch mehr reinlässt. „Einige leben völlig isoliert, die Kinder können keine Freunde mehr einladen“, fasst Ute Heberer zusammen.
Schuld daran gibt sie auch der Corona-Pandemie mit ihrem Hunde-Boom. „Weil plötzlich jeder einen Hund wollte, gab es keine Welpen mehr“, erklärt sie. Seriöse Züchter führten lange Wartelisten, „und Mischlingswelpen wurden plötzlich für 2000 Euro verkauft“. Viele Menschen hätten sich dann Arbeitshunderassen angeschafft, ohne zu wissen, welche Charaktereigenschaften damit einhergingen. Manchen Menschen wurden Labradorwelpen – die Rasse gilt als familientauglich – verkauft, die sich später als Owtscharkas herausstellten, berichtet die Tierschützerin. Das ist eine russische Herdenschützer-Rasse und laut Heberer „so ziemlich das Kernigste, was rumläuft“.
Ein fester Teil der Hunde bei Tino kommt von befreundeten Tierschutzorganisationen in Rumänien, Italien oder auf den Kanaren. Das gehöre zur Tino-Strategie: „Unsere Auslandshunde sind gerettet. Sie haben hier ein tolles Leben. Und sie bringen uns die Menschen ins Tierheim. Wenn ich mir zehn Problemhunde ins Tierheim hole, werde ich mit ihnen alt.“
Eine weitere Herzensangelegenheit von Heberer sind die vielen wilden, kranken Katzen. Als junge Frau arbeitete sie im Außendienst und sah das Katzenelend auf den Bauernhöfen im Odenwald. Um die unkontrollierte Vermehrung einzudämmen, organisiert Tino Kastrationsaktionen wilder Katzen, bei denen die Tiere eingefangen, kastriert und nachher wieder ausgesetzt werden. Finanziert wird die Kampagne auch von Paten. Beworben wird die Patenschaft augenzwinkernd mit dem Slogan „Eunuchen buchen.“
Schwerer, als einen Termin mit Ute Heberer zu vereinbaren ist es übrigens, bei diesem Termin ein Foto von ihr zu machen. Sie ziert sich, will Mitarbeiter vorschicken, schlägt vor, nur die Tiere abzulichten. Der Grund: Ihr schwarzes T-Shirt ist voller weißer Streifen. „Das ist Mehl“, erklärt Heberer lachend, „ich war eben dabei, einen Kuchen zu backen.“ Seit zwölf Jahren lebt sie in dem Haus gegenüber vom Tierheim – mit der Bundesstraße 47 dazwischen, „als natürliche Grenze“.
Und auch wenn die 63-Jährige kürzlich den ersten Vorsitz an Vereinskollegin Sigrid Faust-Schmidt abgegeben hat, bleibt sie im Alltag eng mit Tino verbunden. Der Kuchen ist für befreundete Tierschützer aus Ulm, die am Nachmittag einen ihrer Schützlinge vorbeibringen, mit dem sie nicht klarkommen. Ablichten lässt sich Heberer dann am Ende doch noch – fürs Foto zieht sie einfach den Reißverschluss ihrer Jacke zu.
Vermittlungstiere von Tino
Auf der Tino-Webseite www.tiere-in-not-odenwald.de sind alle aktuellen Vermittlungstiere gelistet. Tiervermittlung nur nach telefonischer Terminabsprache! Dienstag 14 bis 17 Uhr, Donnerstag 14 bis 17 Uhr und Samstag 14 bis 17 Uhr unter Tel. 06063 939848.