In der Tasso-Notrufzentrale in Sulzbach im Taunus wird täglich hunderten Tierhaltern geholfen, die ihren Hund oder ihre Katze vermissen. TIERISCH GUT hat hinter die Kulissen geschaut.

Von Mara Pitz

Wenn Jennifer Gierok ihren Arbeitstag beginnt, lässt das erste Drama meist nicht lange auf sich warten: Eine junge Frau ist am Telefon, völlig aufgelöst. Ihre Katze Lucy ist weg. Eigentlich eine Wohnungskatze, ist sie in einem unbeobachteten Moment durch ein offenes Fenster entwischt. Seitdem fehlt jede Spur von Lucy. Die Stimme der Katzenbesitzerin zittert, klingt verweint.

Jennifer Gierok mit Bürohund Misha

Was für Tierhalter der absolute Alptraum und eine Ausnahmesituation ist, ist für Jennifer Gierok Alltag. Denn die 42-Jährige aus Flörsheim arbeitet in der Notrufzentrale von Tasso. Rund um die Uhr ist der Telefondienst der Tierschutzorganisation mit Sitz in Sulzbach im Taunus erreichbar für Tierhalter, die ihren Liebling vermissen. Auch Menschen, die ein Tier gefunden haben, können sich an Tasso wenden. Das Prinzip ist so einfach wie genial: Tierhalter registrieren ihr Tier bei Tasso. Meist wird dazu die Nummer des Transponder-Chips benutzt, den Haustiere unter der Haut tragen (siehe Infobox 1 am Ende des Artikels) oder aber die im Ohr eintätowierte Nummer. Der Tierhalter gibt Namen, Geschlecht, Alter und eventuell besondere Merkmale in der Datei an, außerdem seine eigenen Kontaktdaten. Auch ein Foto von seinem Liebling kann er hinterlegen. Entläuft das Tier später und wird gefunden, kann es über die Registrierung dem Halter zugeordnet werden.

Auch die Katze der Anruferin, Lucy, ist im Tasso-Verzeichnis registriert, wie Jennifer Gierok mit einem Blick in ihren Computer feststellt. In der Datei vermerkt Gierok, dass Lucy vermisst wird. Außerdem erstellt sie kostenlos Suchplakate für die Besitzerin. Schließlich hat Gierok noch praktische Tipps für die Frau parat: „Bitten Sie Nachbarn, im Keller nachzuschauen“, rät Gierok. Und: „Stellen Sie besser kein Futter raus.“ Denn das könnte andere Katzen anlocken, was wiederum Lucy davon abhalten könnte, in ihr Revier zurückzukehren. „Stellen Sie stattdessen ein Schälchen mit benutztem Katzenstreu raus und legen sie getragene Kleidungsstücke von sich aus.“ Der vertraute Geruch könne der Katze helfen, zurückzufinden. „Und am besten lassen sie immer das Fenster und die Tür offen, damit sie jederzeit zurück in die Wohnung kann.“ Einfühlsam und ruhig spricht Gierok mit der Anruferin. Am Ende klingt die junge Frau schon gefasster.

Samantha Fricke mit Bürohund Mike

Rund 300 solcher Vermisstenmeldungen, die meisten davon betreffen Katzen und Hunde, gehen jeden Tag bei Tasso ein. Hinzu kommen mehrere hundert Anrufe von Menschen, die ihr Tier registrieren lassen möchten oder aber ein herrenloses Haustier gefunden haben. Jennifer Gierok und ihre rund 60 Kollegen aus der Notrufzentrale arbeiten an sieben Tagen in der Woche in vier Schichten. In der Kernzeit von 8 bis 20 Uhr sind bis zu zwölf Mitarbeiter parallel an den Telefonen. Gieroks Kollegin Samantha Fricke übernimmt meist die Nachtschicht von 23 bis 6 Uhr. „Nachts ist es meistens etwas ruhiger am Telefon“, berichtet Fricke. Dann übernimmt die 27-Jährige andere Aufgaben, durchforstet zum Beispiel Facebookgruppen und Co auf der Suche nach Hinweisen zu vermissten Tieren oder bestellt Suchplakate für Besitzer. „Wir raten davon ab, selbst Suchplakate mit der Handynummer zu drucken“, sagt Fricke. „Unsere Plakate sind anonym.“ Die Besitzer müssen darauf keine privaten Angaben wie ihre Handynummer preisgeben und sind so vor Datenmissbrauch, Scherzanrufen oder gar Erpressungsversuchen geschützt. Denn es ist schon vorgekommen, dass Kriminelle versucht haben, Geld von verzweifelten Menschen zu ergaunern, indem sie vorgaben, das vermisste Tier gefunden zu haben, berichtet Fricke. „Datenschutz wird bei uns großgeschrieben“, erklärt sie. Dazu gehört auch, dass der Tierhalter entscheidet, ob seine Kontaktdaten an den Finder weitergegeben werden – oder ob der Kontakt komplett über Tasso läuft.

Deutschlandweit sind bei Tasso 10,5 Millionen Tiere von rund sieben Millionen Haltern registriert. Hunde stellen mit 6 Millionen Tieren den Löwenanteil dar, gefolgt von Katzen mit rund vier Millionen Registrierungen. Der Rest verteilt sich auf Klein- und andere Haustiere. „Von der Maus übers Frettchen bis hin zum Pferd ist alles dabei“, sagt Samantha Fricke. Gegründet wurde Tasso 1982 als bundesweites Haustierregister, damals mit dem Ziel, Tierdiebstahl zu verhindern und gestohlene Tiere zurück zu ihrem Halter zu bringen. Mit den Jahren verschob sich der Fokus immer weiter in Richtung Rückvermittlung entlaufener Tiere. Mittlerweile ist der Verein als Tierschutzorganisation anerkannt und nach eigenen Angaben das größte Haustierregister Europas. Finanziert wird die Arbeit ausschließlich über Spenden.

Transponderlesegerät, Foto: TASSO e.V.

Zur Arbeit in der Notrufzentrale gehören auch traurige Momente: Wenn ein vermisstes Haustier tot gefunden wird, informiert Tasso die Halter. „Bei diesen Anrufen gehen wir besonders vorsichtig vor“, sagt Fricke. Zum Beispiel frage sie dann immer zuerst, wo der Tierhalter gerade ist. „Wenn die Person Auto fährt, dann bitte ich sie zum Beispiel, rechtsranzufahren.“ Trotz der traurigen Botschaft seien viele Tierhalter dann trotzdem dankbar, ergänzt Gierok. „Denn sie haben endlich Gewissheit, was mit ihrem Tier passiert ist.“

Doch es gibt auch Geschichten zum Schmunzeln: Etwa die von der Katze, die sich unbemerkt ins Wohnmobil der Nachbarn schlich und am nächsten Tag mit ihnen in den Urlaub ans Mittelmeer fuhr. Oder solche, die man wohl nie vergisst: In der Flut im Ahrtal wurde eine Katze von den Wassermassen mitgerissen – und nach vier Monaten in einem Ort zehn Kilometer flussabwärts gefunden. „Völlig abgemagert, aber lebendig“, erinnert sich Fricke. „Diese Familie hatte in der Nacht alles verloren, aber die Katze konnten wir ihnen zurückgeben.“

Besonders viele Vermisstenanzeigen gehen übrigens im Sommer bei Tasso ein. Denn dann sind die Menschen mehr draußen, gehen länger und an unbekannten Orten mit dem Hund spazieren, Türen und Fenster stehen länger offen. Katzen werden in der Urlaubszeit oft von Nachbarn versorgt und können in einem unbemerkten Moment entwischen. Weiterer trauriger Höhepunkt ist an Silvester: An keinem anderen Tag im Jahr verschwinden mehr Hunde und Katzen. „Wir können nur dazu aufrufen, jedes einzelne Tier zur registrieren. Auch eine Wohnungskatze kann entlaufen“, mahnt Fricke. In der unbekannten Umgebung finden reine Stubentiger zudem schwerer wieder nach Hause als Artgenossen mit Freigang. Ob Wohnungskatze Lucy wieder zurück zu ihrer Besitzerin findet, bleibt an diesem Nachmittag ungewiss. Die Chancen stehen jedoch gut. Im vergangenen Jahr sind insgesamt 113.000 Hunde, Katzen und andere Haustiere bei Tasso vermisst gemeldet worden. 93.000 Tiere fanden dank der Arbeit des Vereins wieder zurück nach Hause.

Foto: TASSO e.V.

Infobox 1: Tier registrieren

Die meisten Hunde und Katzen sind heutzutage „gechipt“. Das bedeutet, sie tragen einen winzigen Transponder unter der Haut, meist am Nacken oder am Ohr, mit dem sie identifizierbar sind. Die Nummer des Transponders wird im EU-Heimtierausweis eingetragen. Die meisten Tierheime und Tierärzte besitzen ein Gerät, mit dem man die Chipnummer auslesen kann. Damit das Tier einem Halter zugeordnet werden kann, muss es bei Tasso registriert werden. Dass das Tier gechipt ist, genügt nicht! Das Haustier registrieren kann man auf tasso.net. Neben Tasso gibt es mit Findefix ein weiteres Haustierregister in Deutschland, das zum Deutschen Tierschutzbund mit Sitz in Bonn gehört und ebenso eine 24-Stunden-Hotline bietet: 0228 6049635. Auch dort muss man sein Haustier mit der Transpondernummer registrieren. Mehr Informationen unter findefix.com.

Checkliste: Hund entlaufen

Was tun, wenn der Hund aus der Wohnung oder beim Spaziergang entläuft? Tierschützer geben folgende Tipps:
An Ort und Stelle bleiben: Ein entlaufener Hund kehrt oft wieder dorthin zurück, an der er seinen Besitzer verloren hat. Deswegen sollte möglichst eine Bezugsperson an der Stelle bleiben, wo er zuletzt gesehen wurde. Wenn man sich doch entfernen muss, kann man ein getragenes Kleidungsstück hinterlassen.
Vermisst melden: Möglichst schnell den Hund bei Tasso und Findefix als vermisst melden, beziehungsweise den Hund dort registrieren, falls noch nicht geschehen.
Stellen informieren: Man sollte die örtliche Polizei, eventuell auch Jagdpächter und Förster informieren, auch das örtliche Tierheim kann vorab informiert werden. Bauhöfe und Straßenmeistereien informieren (falls das Tier angefahren wurden).
Sich Hilfe holen: In lokalen Facebookgruppen wird oft schnell und unbürokratisch Unterstützung bei der Suche organisiert. Zum Beispiel gibt es Menschen aus Suchhundestaffeln, die gezielt nach entlaufenen Hunden suchen.
Nachbarn informieren und großflächig Suchplakate anbringen und ggf. die Hundehalter-Haftpflichtversicherung informieren, dass der Hund entlaufen ist.

Checkliste: Katze entlaufen

Folgende Tipps können helfen, wenn die Katze entlaufen ist:
– Immer eine Tür oder ein Fenster offenlassen
– Katzentoilette / benutztes Katzenstreu aufstellen
– Bei Tasso und Findefix als vermisst melden beziehungsweise registrieren, falls noch nicht geschehen
– Nachbarn informieren und Suchplakate aufhängen
– Keller- und Lagerräume in der Umgebung absuchen, gegebenenfalls Firmen und Büros in der Nähe informieren
– Örtliche Tierheime anrufen
– Bauhöfe und Straßenmeistereien informieren (falls die Katze angefahren wurde)

Tier gefunden, was nun?

Wer ein Haustier findet, ist dazu verpflichtet, den Fund zu melden. Sonst macht er sich strafbar. Der Fund muss beim örtlichen Ordnungsamt oder nachts bei der Polizei gemeldet werden. Dort muss eine Fundmeldung mit Beschreibung des Tieres hinterlassen werden. Gerade bei verletzten Tieren ist die Fundmeldung vor dem Gang zum Tierarzt wichtig, damit der Finder später nicht die Behandlungskosten zahlen muss. Auch ein tot gefundenes Tier sollte gemeldet werden.

Kontakt

Die Tasso-Notrufnummer 0 61 90 93 73 00 ist an sieben Tagen rund um die Uhr besetzt. Mehr Informationen: tasso.net und in der Tasso-App „Tipp-Tapp“.

Haben auch Sie ein vermisstes Tier wiedergefunden? Dann schreiben Sie uns Ihre Geschichte dazu: info@tierischgut-da.de
Wir melden uns bei Ihnen.