Viele Katzen werden heute 15 bis 20 Jahre alt – doch der Alterungsprozess und die damit verbundenen Probleme beginnen schon viel früher. Tierarzt Martin Kniese und Katzenpsychologin Carmen Schell erklären im Interview, woran Halter die ersten Zipperlein erkennen, wie man Katzensenioren den Alltag erleichtert – und was das Tolle an betagten Samtpfoten ist.
Von Mara Pitz
TIERISCH GUT: Herr Kniese, Frau Schell, ab wann ist eine Katze eigentlich alt?
Carmen Schell: Aus meiner Sicht ist das wie bei uns Menschen: individuell sehr unterschiedlich. Generell würde ich sagen so ab sieben bis zehn Jahren.
Martin Kniese: Die Katzen, die wir hier in der Praxis sehen, sind ja meistens Haus- oder Wohnungskatzen, die medizinisch gut versorgt, gut ernährt und betreut und auch den Alltagsrisiken einer Bauernhofkatze nicht ausgesetzt sind, sodass die Lebenserwartung einer Katze heute weit über zehn Jahre hinausgeht. 14, 16 Jahre, bis hin zu 20 Jahren ist heute ja nichts mehr Ungewöhnliches. Von daher ist die Alterung auch unterschiedlich. Medizinisch gesehen beginnt für uns die ältere Katze mit acht bis zehn Jahren. Und ab zehn, zwölf Jahren gehen dann meist die ersten altersbedingten Probleme los.
Was sind die typischen erstes Anzeichen, dass die Katze alt wird?
Schell: Ich finde das Gemeine an Katzen ist, dass man das eben sehr spät merkt. Die meisten Menschen nehmen gar nicht wahr, dass die Katze mehr schläft oder ihr Sprungverhalten verändert. Sie zögert vielleicht einen ganz kurzen Moment vor dem Sprung – der Halter denkt sich nichts dabei. Die Katze wägt ab, ob sie den Sprung schafft oder hat Schmerzen dabei. Da braucht man ein sehr genaues Auge, um das wahrzunehmen. Die meisten Halter bemerken erst die für uns eher unschönen Veränderungen, wenn die Katze unsauber wird oder anfängt, stark zu vokalisieren.
Kniese: Aus ärztlicher Sicht ist es dann eigentlich schon zu spät. Viele Veränderungen sind Dinge, die man gerne als Tierhalter – und manchmal auch als Tierarzt – geneigt ist, aufs Alter zu schieben. Man sagt: Das ist jetzt normal. Dabei sind viele Probleme medizinisch beeinflussbar. Wenn sich im Alter etwas verändert – die Katze wird aggressiv, nimmt ab oder trinkt mehr – sollte man immer auch an etwas Krankhaftes denken. Wir haben bei den Katzen ganz typische Altersproblematiken: Das sind organische Leiden, vornehmlich Nieren- und Schilddrüsenprobleme sowie Herzprobleme und Diabetes, die man am ehesten über Blutuntersuchungen feststellen kann. Was auch sehr häufig übersehen wird, sind Arthrosen. Das sind Schmerzprozesse bei Katzen, die sich dann daran zeigen, was Frau Schell bereits beschrieben hat: Die Katze ist nur noch eingeschränkt beweglich und meidet viele Dinge. Das sollte einen Tierhalter immer hellhörig machen, denn die Katze kann nicht sagen: Ich habe Schmerzen. Sie sitzt auch nicht da und miaut, wenn ihr etwas weht tut. Die Katze leidet still. Wir haben zum Glück mittlerweile modernste Arthrose-Medikamente, die sehr gut wirken und auch älteren Katzen ein schmerzfreies Leben ermöglichen.
Sind das spezielle Schmerzmittel?
Kniese: Nein, dabei handelt es sich um ein Präparat, das bestimmte entzündliche Prozesse im Körper verhindert. Das ist eine echte Innovation in der Katzenmedizin. Viele Halter sind davon begeistert und berichten von massiven Verhaltensveränderungen. Eine andere Schmerzproblematik bei Katzen sind die Zähne, also Lochfraß, den man nur mit aufwändigen Röntgentechniken unter Narkose feststellen kann. Das ist aber kein reines Altersthema, sondern kommt auch bei jüngeren Katzen vor.
Es gibt ja die Volksweisheit, dass Katzen im Alter garstig werden. Stimmt das?
Schell: Bei manchen Katzen geht die Reizschwelle herunter, das mag schon sein. Aber das hängt immer von der Grundbelastung ab: Hat die Katze Schmerzen, ist ihr übel, hat sie vielleicht Streit mit ihrem Katzenkumpel? Aber, und das ist mir ganz wichtig, das hat immer einen Grund. Keine alte Katze ist ohne Grund garstig. Die meisten älteren Katzen, die zu mir in die Beratung kommen, schicke ich zuallererst zum Tierarzt. Bei fast allen steckt dann auch etwas Medizinisches dahinter.
» Alte Katzen sind wunderbar. « (Carmen Schell)
Kann man etwas tun, um dem Altern entgegenzuwirken?
Kniese: Übergewicht ist natürlich ein großes Thema, das sollte man vermeiden. Ich kann nur generell raten, die ältere Katze ab etwa acht Jahre mindestens einmal im Jahr tierärztlich durchchecken zu lassen. Die Zähne müssen kontrolliert werden, das Blut sollte untersucht werden. Vieles kann man durch Vorsorge sehr früh klären und behandeln im Sinne der Lebensqualität für das Tier.
Und was kann man im Alltag tun?
Schell: Wer rastet, der rostet, das gilt auch für Katzen. Ihr Bewegungsdrang ist bis ins hohe Alter enorm, sofern sie ihn schmerzfrei ausleben können. Meine 17 Jahre alte Katze zum Beispiel leidet unter Arthrose und hat Probleme, Treppen zu gehen. Sie läuft aber jeden Tag mehrfach in einem speziellen Laufrad für Katzen – von sich aus. Das ist eine sehr gleichförmige Bewegung, die ihr guttut.
Kniese (lacht): Wie bekommt man denn eine Katze in ein Hamsterrad rein?
Schell (lacht): Es ist ja ein übergroßes Rad mit 1,25 Meter Durchmesser. Tatsächlich muss man junge Katzen da meist gar nicht heranführen. Die sehen sich an, wie sich das dreht, und springen rein. Die Älteren brauchen gerne mal eine kleine Instruktion, wie sie rein- und rauskommen, laufen dann aber erstaunlich viel darin. Das ist auch besonders für Hauskatzen ohne Freigang interessant.
Für Menschen gibt es ja das sogenannte Gehirnjogging. Gibt es so etwas auch für Katzen?
Schell: Clickertraining kann man zum Beispiel auch mit einer älteren Katze beginnen. Auch Food Puzzles sind eine tolle Möglichkeit. Das bedeutet, dass die Katze ihr Futter nicht nur aus dem Napf bekommt, sondern es sich erarbeiten muss. Die Hauptmahlzeiten sollten gerade bei älteren Katzen schon im Napf angeboten werden und auch immer an der gleichen Stelle. Aber alles, was es an Snacks gibt, erhält meine Katze zum Beispiel über Aufgaben.
Können Katzen auch dement werden?
Schell: Auf jeden Fall! Sie verlieren dann ähnlich wie Menschen den Tag-Nacht-Rhythmus und stehen plötzlich orientierungslos da, wissen nicht mehr, was sie tun wollten. Meine Katze ist auch dement – aber noch relativ am Anfang. Wenn sie zum Beispiel mitten in der Nacht aufwacht und nicht weiß, wo wir sind, wird auch ordentlich gerufen.
Kniese: Dieses nächtliche Vokalisieren ist ein großes Problem für viele Katzenhalter. Manche Tiere schreien die ganze Nacht durch. Einige sind taub, hören sich deswegen nicht mehr selbst und schreien dann nur umso lauter. Viele Menschen tun kein Auge mehr zu. Wenn die Katze dann noch unsauber wird, weil sie das Katzenklo nicht mehr findet oder vergisst, dass sie es benutzen muss, wird das zur riesigen Herausforderung.
» Die Schmusigkeit und Anhänglichkeit von meinen alten Tieren habe ich immer sehr genossen. « (Martin Kniese)
Wie kann man da Abhilfe schaffen?
Schell: Katzen sind Gewohnheitstiere und wissen gerne, wann was passiert. Man kann zum Beispiel Rituale einführen und der Katze jeden Abend einen Schlafplatz herrichten, sie ins Bett bringen und – wenn sie es mag – zudecken. So weiß die Katze, wann der Tag zu Ende ist und die Nacht beginnt. Außerdem schätzen ältere Katzen meist Wärme sehr. Außerdem helfen zum Beispiel Nachtlichter für die Steckdose, sodass sich die Katze nachts besser orientieren kann.
Kniese: Die Katze sieht ja eigentlich nachts sehr gut. Wenn sich aber im Alter die Linse zunehmend eintrübt, wird das Nachtsehen als erstes beeinträchtigt. Das führt dann zu Irritationen, wenn die Katze plötzlich nachts wie vor einer schwarzen Wand steht und gar nichts mehr erkennt. Gegen die Demenz an sich kann man medizinisch leider nichts tun.
Was ist aus Ihrer Sicht noch typisch für das Alter, Frau Schell?
Schell: Katze wird wieder mehr Katze. Die junge Katze passt sich unserem Leben unglaublich stark an, was ihre Gewohnheiten angeht. Ein Beispiel: Für eine Katze ist es körperlich nicht passend, nur morgens und abends zu fressen. Denn physiognomisch ist sie eigentlich auf viele kleine Mahlzeiten angepasst: In der Natur fängt sie 15 bis 30 kleine Beutetiere am Tag. Viele Katzen machen es aber trotzdem ganz lange mit, dass sie nur morgens und abends gefüttert werden wie ein Hund. Im Alter verlangen sie dann aber wieder mehrere kleine Mahlzeiten, wie es eigentlich ihrer Natur entspricht.
Jetzt müssen Katzen ja auch häufiger zum Tierarzt – sind sie denn auch die anstrengenderen Patienten auf dem Tisch?
Kniese: Im Gegenteil – meist sind sie durch ihre Erfahrung etwas gelassener und ruhiger, was Routine-Untersuchungen vereinfacht.
Viele Menschen wollen unbedingt ein Katzenbaby. Was spricht aus Ihrer Sicht dafür, sich stattdessen eine ältere Katze anzuschaffen?
Schell: Man hat nicht die ganze Erziehungsarbeit, die ein Kitten mit sich bringt. Die haben ja schon viel Quatsch im Kopf. Zudem kann eine ältere Katze mit ihrer eingeschränkteren Lebenserwartung für junge Menschen, die mitten im Leben stehen und sich nicht zu lange an ein Tier binden wollen, eine gute Wahl sein.
Kniese: … oder für ältere Menschen, die nicht mehr 15 oder 20 Jahre die Verantwortung für ein Tier übernehmen wollen.
Medizinisch gesehen hat das Alter ja sehr viele negative Seiten. Was gibt es denn aus Ihrer Sicht Positives?
Kniese: Ich persönlich habe die Zeit mit alten Tieren, sei es Hund oder Katze, immer sehr geschätzt, weil dann mehr Ruhe und Gelassenheit in das Verhältnis eingekehrt sind. Die Schmusigkeit und Anhänglichkeit habe ich immer sehr genossen.
Schell: Das kann ich voll und ganz unterschreiben! Das Tollste an einer alten Katze sind ihre Gelassenheit und ihre Lebenserfahrung.
Zum Abschluss beenden Sie beide bitte folgenden Satz: Alte Katzen sind…
Kniese und Schell (gleichzeitig): Wunderbar!
Zur Person
Carmen Schell lebt und arbeitet als Katzenpsychologin in Dieburg. Mit ihrem Unternehmen Cattalk® berät sie bundesweit Katzenbesitzer, Tierärzte und Tierheime. Schell ist regelmäßig in der TV-Sendung „hundkatzemaus“ auf Vox als Katzenexpertin zu sehen (mehr auf www.cattalk.de).
Tierarzt Martin Kniese lebt und arbeitet in Darmstadt. Seit 1992 betreibt er seine Praxis in der Wilhelm-Glässing-Straße 2 (unmittelbar am City-Tunnel), in der neben ihm vier weitere Tierärztinnen beschäftigt sind. Weitere Infos unter www.tierarztpraxis-kniese.de
Zehn Tipps für den Alltag mit einem Katzensenior
Hilfsmittel: Katzentreppchen oder ein niedriger Kratzbaum helfen der älteren Katze, Lieblingsplätze wie die Fensterbank oder das Sofa leichter zu erreichen.
Nachtlicht: Da die Sehkraft im Alter nachlässt, kann ein kleines Nachtlicht dafür sorgen, dass sich die Katze im Dunkeln orientieren kann.
Futterwechsel: Viele Katzen werden im Alter beim Futter wählerischer. Im Fachhandel gibt es speziell für die Bedürfnisse auf ältere Katzen oder auch für bestimmte Erkrankungen wie Diabetes abgestimmtes Futter.
Unsauberkeit: Wenn die Katze im Alter unsauber wird, kann das auf Demenz oder auf körperliche Probleme wie Inkontinenz hinweisen. Niemals sollte man sie dafür schimpfen!
Wärme: Viele ältere Katzen frieren leichter. Ein warmes Deckchen oder Kissen können Abhilfe schaffen.
Katzenklo wechseln: Manche Katzen nehmen im Alter ihre Katzentoilette nicht mehr an, weil das Hineinspringen unangenehm oder schmerzhaft ist.
Gesundheitscheck: Verhaltensveränderungen bei alten Katzen gehen oft auf unerkannte Krankheiten zurück. Ein Gang zum Tierarzt schafft Klarheit.
Mitbringsel: Auch Katzensenioren, die keinen Freigang (mehr) genießen, sind noch neugierig. Man kann ihnen etwas von draußen mitbringen, zum Beispiel Kastanien, einen Tannenzapfen oder etwas Laub.
Abwechslung: Futtersuchspiele und Beschäftigung mit der Katze festigen die Bindung und halten die Katze fit.
Gelassenheit: Das Alter gehört zum Leben dazu.