„Als Tierarzt muss man Menschenfreund sein“

Martin Kniese ist seit 35 Jahren Tierarzt – seit 30 Jahren mit eigener Praxis in Darmstadt. Im TIERISCH-GUT-Interview spricht er über die schönen und traurigen Seiten seines Praxisalltags, die Folgen des illegalen Welpenhandels und darüber, welchen Rat er verunsicherten Tierbesitzern gibt.

Von Mara Pitz

Herr Kniese, Sie sind wohl Darmstadts bekanntester Tierarzt und behandeln in Ihrer Praxis Katzen, Hunde, Kleintiere und Reptilien – wie verteilt sich das so ungefähr auf ihre Kundschaft?
Ungefähr 50 Prozent sind Hunde, 35 Prozent Katzen und der Rest sind Heimtiere und Exoten. Bei den Kleintieren sind es vor allem Meerschweinchen und Kaninchen, bei den Reptilien sind es überwiegend Schildkröten.

Corona hat ja einen regelrechten Haustierboom ausgelöst, vor allem bei Hunden. Merken Sie den auch in Ihrer Praxis?
Sehr. Wir haben sehr viele Neuanmeldungen mit Welpen und auch einen deutlich gesteigerten Arbeitsaufwand. Grundsätzlich nehmen wir immer noch Patienten auf, aber es gab schon Tage, an denen wir keinen Termin mehr anbieten konnten.

Sehen Sie diese Entwicklung positiv oder eher negativ?
Vor allem für die kleineren Praxen ist dieser Zuwachs sehr positiv. Für unsere Praxis eröffnet das die Möglichkeit, in neue Apparate zu investieren. Wir haben uns zum Beispiel auf den Schwerpunkt Zahngesundheit spezialisiert. Was es für die Tiere bedeutet, da sind wir uns noch nicht sicher: Können alle Haustiere, die jetzt angeschafft wurden, auch dauerhaft dort bleiben, wo sie sind? Oder landen viele davon im Tierheim, wie befürchtet wird? Bei unseren Kunden kann ich das bis jetzt aber nicht bestätigen. Die haben sich die Anschaffung eines Tieres in der Regel gut überlegt. Ich sehe das im Großen und Ganzen also eher positiv.

Jetzt tauchen bei Ihnen natürlich auch nur die Halter auf, die sich um ihr Tier sorgen und kümmern. Haben Sie eine Idee, wie groß die Dunkelziffer ist?
Menschen, die sich nicht angemessen um ihr Tier kümmern, gibt es leider. Aber die hat es immer schon gegeben und die wird es auch immer geben.

»Der Tierhalter muss alles verstehen, akzeptieren und er muss es letztlich auch bezahlen.«

Leider hat ja auch der illegale Welpenhandel zugenommen. Es gab durch illegal importierte Welpen jüngst einen Tollwutfall in Bremen und in Darmstadt wurde kürzlich eine Frau zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie Welpen eingeführt hatte, die noch nicht geben Tollwut geimpft waren. Warum ist das so gefährlich?
Tollwut ist eine für Mensch und Tier tödliche Erkrankung. Wildtollwut, die meist von Füchsen übertragen wurde, existiert seit 2008 in Deutschland nicht mehr. Nichtsdestotrotz besteht die Gefahr, dass sie durch Exporttiere in Einzelfällen wieder eingeschleppt wird wie jetzt in Bremen. Und dann besteht die Gefahr, dass es wieder zu einer seuchenartigen Verbreitung kommen kann, wenn keine Herden­immunität durch Impfung besteht. Jetzt ist es zum Glück so, dass die Reiselust der Tierhalter groß ist, sodass sehr viele Hunde gegen Tollwut geimpft sind, weil man dies für Auslandsaufenthalte braucht.

Und wenn ich nie mit dem Hund ins Ausland reise?
Das Problem ist: Wenn der seltene Fall eintritt wie jetzt in Bremen, dass ein tollwütiger Hund eingeführt wird, und der eigene Hund mit diesem Hund beispielsweise in der Welpenspielstunde oder beim Spazierengehen Kontakt hatte und keinen gültigen Impfschutz hat, kann das Veterinäramt die Tötung anweisen. Das ist dann der Supergau, wenn ein gesunder Hund eingeschläfert werden muss, von Amts wegen, weil die Impfung fehlt. Dieses Risiko ist natürlich sehr gering, aber wenn es passiert, ist es eine Katastrophe für alle Beteiligten.

Und bei Katzen?
Da sieht es anders aus. Eine Katze, die im Freilauf in Darmstadt in den Hinterhöfen und im Garten herumspaziert, muss man sicher nicht gegen Tollwut impfen. Wir beraten unsere Kunden zu solchen Fragen ausführlich. In der Regel sind die Menschen, die zu uns in die Praxis kommen, eher zu besorgt und man muss ihnen die Ängste nehmen.

Hat das zugenommen, Stichwort Vermenschlichung?
Es heißt ja immer, „das letzte Kind hat Fell“ (lacht). Viele Haustiere haben eine sehr enge Bindung an ihre Halter, aber das war vor 30 Jahren, als ich mit der Praxis angefangen habe, auch schon so. Eine Kollegin aus Österreich sagte mal: „Den Leuten fehlt der Hausverstand“ – damit meint der Österreicher den gesunden Menschenverstand, Dinge einschätzen zu können. So werden harmlose Situationen mit dem Haustier oft als Notfall tituliert, weil die Tierhalter nicht einschätzen können, was wirklich ernst ist und was nicht. So gibt es viel unnötige Aufregung um harmlose Erscheinungen, die dann die Notdienste belasten.

Zum Beispiel?
Der Hund hat ein, zwei Mal erbrochen nach dem Spaziergang. Das machen Haustiere eben manchmal, wenn sie etwas gefressen haben, was sie nicht sollten. Auch ein Mensch hat mal Situationen, in denen er erbricht, ohne gleich in die Notaufnahme zu gehen. Oder man hat sich den Fuß verknackst und kann ein paar Stunden nicht richtig auftreten. Manchmal sind die Symptome schon wieder weg, wenn die Tiere in der Praxis vorgestellt werden, weil das Füßchen schon nicht mehr wehtut oder das Erbrechen weg ist. Ich sage immer: „Überlegen Sie mal, was Sie als Mensch machen würden in der gleichen Situation.“

»Man kann noch so ein guter Tierarzt sein, aber wenn man die Zähne nicht auseinanderbekommt, wird man keinen Erfolg haben.«

Wieviel Anteil Ihrer Arbeit ist eigentlich am Tier und wieviel am Menschen?
Das teilt sich hälftig auf. Unsere eigentlichen Patienten sind natürlich die Tiere, aber der Tierhalter muss alles verstehen, akzeptieren und er muss es letztlich auch bezahlen. Das Wissen der Tierhalter über medizinische Dinge ist aber auch viel größer geworden und damit auch der Gesprächsbedarf.

Würden Sie sagen, ein guter Tierarzt muss ein Menschenfreund sein?
Unbedingt. Das Problem ist, dass viele Menschen Tierarzt werden, weil sie mit Tieren besser klarkommen als mit Menschen. Das ist für einen Tierarzt in der Kleintierpraxis der falsche Zugang. Mancher muss es dann im Lauf des Lebens erst erlernen, denn das ist das A und O. Man kann noch so ein guter Tierarzt sein, aber wenn man die Zähne nicht auseinanderbekommt, wird man keinen Erfolg haben. Niemand will, dass seine Katze auf den Tisch gesetzt wird, eine Spritze in den Po gejagt bekommt, dann zurück in den Korb kommt, es gibt einen Stempel in den Impfpass und niemand sagt einen Ton. Die Leute wollen kommunizieren und auch ein positives Erlebnis in der Praxis haben.

Was sind die häufigsten Fehler, die Tierhalter machen?
Eine zu gut gemeinte Ernährung. Hier ist das Problem oft, dass es mehrere Tierhalter gibt und das Tier von mehreren Menschen gefüttert wird und überall Kekse abgreift. Zum Beispiel, wenn jüngere Leute einen Hund haben und ihn tagsüber, während sie arbeiten, zu den Eltern geben. Viele Kunden haben ein Einsehen, wenn sie sehen, dass das Übergewicht zu gesundheitlichen Problemen führt, wenn man ihnen sagt, ihr Tier hat Schmerzen und muss jetzt mal ein paar Kilo abnehmen.

Es gibt ja bei Hunden immer mehr rassebedingte Krankheiten, oder?
Ja, das nimmt zu, insbesondere weil die kurznasigen Rassen in Mode gekommen sind. Insbesondere Französische Bulldogge und Mops sind da zu nennen. Sie wurden immer mehr auf Kurznasigkeit gezüchtet, um ein menschenähnliches Antlitz zu bekommen, so eine Art Kindchenschema, was die Leute anspricht. Den Haltern ist oft gar nicht klar, was sie sich da antun, bis der Hund größer wird und nachher schwere Operationen über sich ergehen lassen muss, weil er sonst ersticken würde. Es wird aber jetzt immer mehr für das Thema sensibilisiert. Der Trend zu ungewöhnlichen Farben und ungewöhnlichem Äußerem der Tiere hat zugenommen – und das zum Nachteil der Tiere.

Dabei sagen viele, das Schnorcheln und Schnarchen vom Mops ist so süß …
Letztendlich ist es ein Zeichen dafür, dass der Hund Atemnot hat.

Martin Kniese mit Hündin Elza in seinem Jagdrevier in der Grube Messel.

Sie sind ja Jäger und haben Ihr Revier in der Grube Messel. Wie kam es dazu?
Mich hat das ganze Thema Wildbiologie sehr interessiert. Wir brauchen die Jagd zum Erhalt unseres Waldes und unserer Kulturlandschaft. Außerdem war die Ernährung für mich ein Thema. Ich habe mich mit meinem Fleischkonsum beschäftigt und wollte kein Fleisch aus der Massenproduktion mehr essen. Und selbst gejagtes Fleisch ist eben das beste Lebensmittel, wenn es ordentlich und tiergerecht gejagt ist. Sehr viele Tierärzte sind Jäger, die meisten machen es aber heimlich. Das ist ein heikles Thema, weil Jäger in der Öffentlichkeit oft negativ dargestellt werden und – teils zurecht – in der Kritik stehen. Ich bin auch Ausbilder und Prüfer für Jäger, einfach weil es mir ein Anliegen ist, dass die Jagd tiergerecht durchgeführt wird und dass sich die Jagd modernisiert. Ich habe mir extra ein Jagdrevier ausgesucht, wo die Jagd wegen der anderen Nutzer der Grube, nur verhalten ausgeübt werden darf.

Ihre Hündin ist ja heute mit Ihnen hier in der Praxis. Ist sie der einzige Hund, der keine Angst vorm Tierarzt hat?
Elza ist nicht so begeistert, weil hier immer komische Sachen mit ihr passieren wie Krallen schneiden und Haare kämmen, aber sie kommt tapfer mit und liegt dann ruhig im Büro. Ein zweiter Hund, den es immer gab, ist bei uns im Garten begraben. Außerdem gibt es eine Katze und zwei Schildkröten.

Hündin Elza ist Martin Knieses siebter Hund. Sie ist ein „Irish Wolf Hound“, ein irischer Wolfhund, eine der größten Hunderassen.

Gibt es eigentlich auch Situationen, die Sie schlecht abschütteln können und die Sie mit nach Hause nehmen?
Wenn man den Beruf, den ich jetzt seit 35 Jahren mache, halbwegs unbeschadet überstehen will, bei all dem Unerfreulichen, muss man klare Grenzen ziehen zwischen der Arbeit und dem Privaten. Nicht umsonst haben Tierärzte die höchste Suizidrate von allen akademischen Berufen. Was mir aber zunehmend schwerer fällt, ist wenn ich Patienten, die ich, vom Welpenalter an, seit 15 Jahren kenne, erlösen muss. Das ist etwas, von dem ich dachte, dass es mir mit der Zeit leichter fallen würde. Genau das Gegenteil ist der Fall. Der letzte Gang zum Tierarzt ist etwas, was ich gerne den Tierärztinnen in meiner Praxis überlassen würde, nichtsdestotrotz mache ich es gerade bei langjährigen Kunden häufig noch selbst. Ich wünschte, die Tiere würden von alleine zuhause sanft einschlafen, was aber leider so gut wie nie passiert.

»Sehr viele Tierärzte sind Jäger, die meisten machen es aber heimlich.«

ZUR PERSON
Martin Kniese, Jahrgang 1958, betreibt seine Praxis in der Wilhelm-Glässing-Straße 2 (unmittelbar am City-Tunnel) seit 1992. Neben ihm sind dort vier weitere Tierärztinnen beschäftigt. Er ist verheiratet und lebt in Darmstadt.

Buchtipp zum Thema

In „Das Kuscheltierdrama“ erzählt der Berliner Veterinär Achim Gruber aus seinem Alltag als Tierpathologe. Untertitel: „Über das stille Leiden der Haustiere“. Eine Mischung aus Sachbuch, Ratgeber und Krimi – denn viele der beschriebenen Fälle lesen sich wie ein Krimi. Das Buch ist 2019 als Taschenbuch und E-Book erschienen.

Das Kuscheltierdrama · ISBN 978-3-426-30202-6 · Droemer